Balkonkraftwerk 2024 – der große Streit

Worum geht es – und was macht das Nutztier auf dem Balkon?

Eine Balkon Solaranlage besteht aus 1- 2 Solarpanelen und einer kleinen Box. Eine Mini Solaranlage lässt sich mit wenigen Handgriffen auf jedem Balkon installieren. Gut für die Umwelt, und gut für die Stromrechnung. Sollte man meinen…

Nun – so einfach ist es dann doch nicht. Seit Jahren gibt es Zoff um die Mini PV-Anlagen. Der neueste Akt im Balkondrama: “EEG Solarpaket 2024” gegen “VDE 0126-95”. Warum es Stress gibt, worum geht es, und was der VDE zu Nutztieren auf dem Balkon sagt – in diesem Beitrag erfährst Du alles darüber.

Lesedauer: 5 Minuten.

Balkonkraftwerk – das sagt der Gesetzgeber

Bundesregierung gegen VDE: Wieland Stecker, waagerecht fallender Schnee, und Nutztiere auf dem Balkon. Alles zum Thema Balkonsolar

Unbestritten sind die Erneuerbaren der Schlüssel zur Energiewende. Deshalb wird schon seit Jahren der zügige Ausbau der Solarenergie durch Entbürokratisierung gefordert. Nun hat der Gesetzgeber mit dem EEG 2024 und dem Solarpaket 1 konkrete Verbesserungen für Balkonkraftwerke beschlossen. Das Gesetzespaket trat am 16.05.2024 mit der Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt in Kraft. Hier die wichtigsten Verbesserungen:

  1. Genehmigungfrei: Balkon Solaranlagen müssen nicht mehr beim Netzbetreiber angemeldet werden. Es genügt eine vereinfachte Registrierung im Marktstammdatenregister.
  2. Mehr Leistung: Die zulässige Einspeiseleistung wurde erhöht von 600W auf 800W. Es dürfen bis zu 2000W PV-Leistung installiert werden – das entspricht etwa 4-5 Solarmodulen.
  3. Plug & Play: Balkon Solaranlagen dürfen per Schuko-Steckdose einfach wie ein Toaster ans Netz angeschlossen werden.

Balkonkraftwerk – der Faktencheck

Obwohl die Fakten klar erscheinen, tobt seit Jahren hinter den Kulissen ein erbitterter Kampf um die Mini-Solaranlagen. Die Protagonisten: Bund, Stromlobby, und VDE. Warum wehrt sich die Stromlobby gegen die kleinen Solaranlagen? Und welche Rolle spielt der VDE dabei?

Es geht um die Liberalisierung des Strommarktes, und die Stärkung der Verbraucher. Obwohl das Balkonkraftwerk im Vergleich zu den großen PV-Anlagen winzig erscheint, ist es doch nichts weniger als eine Revolution von unten. Erhalten einfache Bürger doch mit den kleinen Solaranlagen die Macht, ihren Stromverbrauch bis zu 30% durch Eigenerzeugung zu reduzieren. Und das einfach per Plug & Play mit Technik vom Discounter. Für die Stromlobby keine schöne Vorstellung.

Die Bundesregierung möchte den Ausbau der Mini-Solaranlagen fördern, und hat deshalb mit dem Solarpaket 2024 die gesetzlichen Vorschriften vereinfacht. Die Stromlobby will das Gegenteil, und plant deshalb eine Verschärfung der Regeln. Um zu verstehen, was genau die Konzerne an den Balkonkraftwerken stört, werfen wir zunächst einen Blick auf deren Funktionsweise.

Wie funktioniert eine Balkon Solaranlage?

Eine Balkon Solaranlage besteht aus Solarpanelen, Wechselrichter, und etwas Zubehör zum Anschließen und Befestigen der Anlage. Die Installation auf dem Balkon ist nicht viel komplizierter als das Anbringen eines Blumenkastens:

  1. Solarpanele per mitgeliefertem Zubehör an der Balkonbrüstung befestigen
  2. Die Kabel der Solarpanele mit dem Wechselrichter verbinden
  3. Wechselrichter in die Schuko-Steckdose stecken. Fertig

Jetzt beginnt der Mikrowechselrichter mit seiner Arbeit. Sobald die Sonne scheint, dreht sich der Stromzähler langsamer. Aber wie genau funktioniert das?

Im Grunde genommen ist ein Balkonwechselrichter nichts anderes, als der kleine Bruder des bekannten Einspeise-Wechselrichter. Die Solarpanele erzeugen Gleichstrom, der Wechselrichter wandelt den Gleichstrom um in normalen Haushalt-Wechselstrom, und speist ihn ins Netz ein. Das war’s schon.

Aber wie speist der Wechselrichter diesen Strom in das Hausnetz ein, und weshalb dreht sich dann der Zähler langsamer?

Der Trick ist, dass die vom Wechselrichter erzeugte Spannung nicht exakt 230V beträgt, sondern minimal über der aktuell gemessenen Netzspannung liegt – z.B. 231V. Dabei entsteht ein “Strom-Gegendruck”, der den Strom rückwärts über die Schuko-Steckdose in das Hausnetz “drückt”. Diesen Vorgang nennt man Einspeisen. Vergleichbar ist dieses Phänomen mit Wasserdruck. Erhöht man den Druck in der Wasserleitung, kann man die Geschwindigkeit und sogar die Richtung des Wassers beeinflussen. Gut beschrieben ist das im Wiki-Beitrag “Das Wasser-Experiment“.

Beim Einspeisen wird also der “Strom-Druck” erhöht, und fließt dadurch zurück in die Leitung. Die vom Wechselrichter eingespeiste Energie “hilft” deinem Stromnetz im Haus. Der Zähler dreht sich um die Menge des zurückfließenden Solarstroms langsamer. Was aber stört den Netzbetreiber daran?

Einspeisen erhöht den “Strom-Druck”. Technisch gesehen steigen Spannung und Frequenz im Netz. Wenige PV-Anlagen im Netz sind kein Problem. Hat aber jeder Mieter eine Balkon Solaranlage, kann das zu “Überdruck” im Netz führen. Um das auszugleichen, muss der Netzbetreiber eine Menge tun. Zum Beispiel die Stromnetze ausbauen. Oder schneller auf Veränderungen im Netz reagieren – Stichwort “Smart-Grid”. Das kostet Ärger und auch eine Menge Geld. Das ist einer der Gründe, weshalb Netzbetreiber “not amused” über die neuen Vorgaben der Bundesregierung sind.

Ein anderer Grund für den Unwillen der Stromlobby ist natürlich die schlichte Tatsache, dass mehr PV-Strom weniger Verbrauch, und damit weniger Profit bedeutet.

Der dritte Grund ist etwas Persönliches. Im PV Vorzeitalter gab es klare Spielregeln. Strom wurde von Energiekonzernen erzeugt. Stromleitungen wurden von der Elektro-Innung verlegt. Und die Kontrolle darüber hatten die Netzbetreiber. Sonnenenergie bringt diese “göttliche Ordnung” nun durcheinander. Auf einmal kann Jedermann Stromproduzent sein. Für die Stromlobby sicher keine schöne Vorstellung, dass nun das Einstecken eines Schukosteckers ausreicht, um Energieproduzent zu sein. Zumal der Netzbetreiber keinen finanziellen Nutzen an der eingespeisten Energie hat.

Zank und Streit um die neuen Regeln für Balkonkraftwerke

Aus diesem Grund mobilisiert die Stromlobby ihre operativen Recken (den VDE), um das “Schlimmste” zu verhindern. Interessant dabei ist das offensichtliche Zerwürfnis zwischen Bund und Stromlobby. So fordert der Chef der Bundesnetzagentur Klaus Müller schon seit Jahren vom VDE die Freigabe des Schuko Steckers für Balkonkraftwerke. Er zitiert hierbei sogar seinen österreichischen Amtskollegen Alfons Haber, der dasselbe Problem im Nachbarland hat.

Aber auch innerhalb des VDE gehen die Meinungen zu diesem Thema auseinander. So veröffentlichte der VDE im Januar 2023 sein “Strategiepapier Steckerfertige Mini-Energieerzeugungsanlagen“, in dem neben der Erhöhung der Leistung auch die Zulassung des Schukosteckers für Balkonkraftwerke vorgeschlagen wird. Absurderweise legt derselbe VDE wenige Monate später im Mai 2024 die neue Produktnorm DIN VDE V 0126-95 zur Diskussion vor, in der eine vollkommen gegenteilige Meinung vertreten wird. Hatte nicht gerade die Bundesregierung mit dem “Solarpaket 1” klare Fakten geschaffen? Wie kann es sein, dass die Vorgaben des VDE im Widerspruch zu den Vorgaben des Bundes stehen – quasi nicht gesetzeskonform sind?

Der VDE steckt in der Klemme

Der Verband Deutscher Elektrotechniker – kurz VDE – ist eine der größten und mächtigsten Technologie-Organisationen Europas. Eine der Hauptaufgaben des VDE ist die Erarbeitung von Normen, Standards und Sicherheitsbestimmungen für die Elektrotechnik. Normen sind ein unverzichtbarer Teil unserer moderner Welt. Stellen wir uns nur einmal vor, Muttern und Schrauben würden nicht zusammenpassen – wir würden wieder in der Steinzeit landen. So ist es auch in der Elektrotechnik – ohne Normen und Regelwerke würde nichts funktionieren. Zum Glück gibt es Normen.

Jedoch können Regelwerke nicht nur Gutes bewirken. Mit strikt formulierten Regelwerken kann man auch unliebsame Entwicklungen aufhalten oder verzögern. Wie beim Thema Balkonkraftwerk. Die Stromlobby mag die kleinen Minikraftwerke nicht 💔. Deshalb will der VDE mit seinem neuen Entwurf für Balkonkraftwerke die Regeln verschärfen – es geht um die geplante DIN VDE V 0126-95. Und der neue Entwurf hat es in sich: Wichtige vom Gesetzgeber festgelegte Vereinfachungen werden durch regulatorische Winkelzüge in ihr Gegenteil verkehrt. Zum Beispiel:

Erhöhte Leistung:

  • Der Gesetzgeber sagt: Laut EEG Solarpaket 1 soll die zulässige Einspeiseleistung erhöht werden auf 800W. Die installierbare PV-Leistung der Solarpanele soll auf 2000W angehoben werden.
  • So will es der VDE: In der geplanten VDE Vorschrift 0126-95 soll genau das nicht der Fall sein. Die Maximalleistung des Wechselrichters von 800W darf nur temporär für 10 Minuten erreicht werden – dann wird abgeregelt. Auch die Leistung der Solarpanele soll anstatt 2000W nur 960W betragen. Das kommt faktisch einer Kastration der ohnehin kleinen Anlagen gleich.

Plug & Play:

  • Der Gesetzgeber sagt: Laut EEG Solarpaket 1 soll für den Anschluss von Balkonkraftwerken ein einfacher Schukostecker genügen.
  • So will es der VDE: In der VDE 0126-95 windet man sich. Eigentlich besteht der VDE im Kapitel 6.2.3.1 auf der DIN VDE V 0628-1 – nämlich dem Einsatz des Wieland-Steckers. Der Wieland Stecker ist eine Spezial-Steckverbindung, die von einen Elektriker installiert werden muss. Allerdings werden in den Folgekapiteln alternative Lösungen beschrieben, zu denen unter strengen Auflagen vielleicht auch der Schukostecker gehören dürfte wenn man es denn nicht verhindern könnte 😬

Wie schon angesprochen hatte der VDE im Vorjahr noch das vom eigenen Vorstand unterstützte Strategiepapier 2023 veröffentlicht, in dem sowohl die höhere Leistung als auch der Schukostecker propagiert wurde. Nun die Rolle rückwärts?

Das regulierte Nutztier auf dem Balkon

Insgesamt liest sich der VDE Entwurf recht unterhaltsam – zeigt er doch den inneren Zwiespalt des VDE zum Thema Balkonkraftwerk. Auch führt die Regulierungsfreude der Verfasser teils zu wundervollen Stilblüten. Mein persönlicher Favorit ist das Kapitel 5.3.1.2 – in dem es heißt: “… Teile müssen gegen Verlust oder Verlagerung gesichert sein, falls dadurch die menschliche Gesundheit und Sicherheit von Haus- und Nutztieren gefährdet ist.” Die Vorstellung von Nutztieren auf dem Balkon ist einfach großartig! 🐮 Muuuh und Määäh 🐑 !

Oder im Kapitel 5.2.1.2 wird auf die Gefahren von Schneelast hingewiesen. Der einfache Blick auf ein Balkonkraftwerk zeigt, wie sich senkrecht fallender Schnee auf senkrecht montierte Solarpanele auswirkt – nämlich gar nicht.

Seltsam mutet auch in Kapitel 6.1 die Forderung nach einem Netzkabel mit einer Mindestlänge von 5m an. Möchte man damit den Balkon heizen, oder weshalb die Forderung nach einem Kabel mit der Länge eines Gartenschlauchs?

Bis zum 03.07.2024 darf sich die Öffentlichkeit an der Diskussion zur neuen VDE V 0126-95 beteiligen. Mach mit und bring dich ein! Vielleicht schaffen es die Vorgaben der Bundesregierung ebenso wie das Rind auf dem Balkon in die Endfassung? Wir sind gespannt 🙂

Hat dir dieser Artikel gefallen? Viele weitere interessante Infos zum Thema findest du in unserem Solar-Wiki:

1 Kommentar zu „Balkonkraftwerk 2024 – der große Streit“

  1. Klaus Fritzsche

    Die Darstellung der Situation zur Nutzung von Balkonkraftwerken ist treffend und für jeden verständlich beschrieben. Man kann nur hoffen, daß die Energiewende nicht in den bürokratischen Spitzfindigkeiten versickert.

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